Wie neutral sind Gutachter?
Gutachter sind bei Gericht unerlässlich; ihrer Tätigkeit kommt bei Gerichtsverfahren häufig eine entscheidende Rolle zu. Die Beweiserhebung durch Sachverständige ist in den §§ 402 – 413 ZPO geregelt.
Gutachter werden beauftragt, wenn dem Gericht die medizinische, psychologische oder psychiatrische Sachkunde fehlt. Ihre Aufgabe ist es, unabhängig und neutral zu einer konkreten Fragestellung des Gerichts Stellung zu nehmen und ihren Sachverstand als Gehilfe des Richters mitzuteilen. Der Richter ist letztlich zwar nicht an die Einschätzung des Sachverständigen gebunden, in der Regel wird er ihr aber folgen. Theoretisch kommt den Gutachtern also eine wichtige verantwortungsvolle Rolle zu. Praktisch wird dies aber möglicherweise überschätzt. Denn welchen Wert haben die erstellten Gutachten, wenn die Gutachter bei ihrer Tätigkeit nicht die von ihnen erforderliche Neutralität an den Tag legen?
Eine Befragung von Gutachtern hat aufgezeigt, dass manche von ihnen bei der Auftragserteilung vom Gericht (teilweise nur ein Einzelfällen, teilweise aber auch häufig) eine Tendenz signalisiert bekommen haben. Die Ergebnisse der Befragung von Jordan/Gresser werden in der Fachzeitschrift “Der Sachverständige” veröffentlicht. Selbstverständlich sollte der Gutachter sich trotz signalisierter Tendenz ein eigenes Bild von dem Fall und dem zu begutachtenden Problem machen, aber die durch das Gericht signalisierte Tendenz gewinnt an Einfluss, wenn man bedenkt, dass viele Gutachter wirtschaftlich von den Gutachtenaufträgen abhängig sind: Insgesamt gaben rund 22% der Sachverständigen an, mehr als 50% ihrer Einnahmen aus gutachterlichen Tätigkeiten zu erwirtschaften. Von denjenigen Gutachtern, die zugegeben hatten, entweder in Einzelfällen oder sogar häufig eine Tendenz vom Gericht genannt bekommen zu haben, waren es sogar ca. 40 Prozent, die angaben, etwa die Hälfte ihrer Einnahmen aus Gutachtertätigkeiten zu erzielen. Entscheidend ist natürlich noch, wie viele Gutachter denn bei den durch das Gericht erteilten Aufträgen eine Tendenz zu spüren bekamen. Insgesamt beläuft sich die Ziffer hier auf knapp 25 Prozent, wobei zwischen den einzelnen untersuchten Berufszweigen (darunter Zahnärzte, Humanmediziner, Psychologen und Psychiater) jedoch massive Unterschiede festzustellen waren.
Es mehren sich inzwischen allerdings auch die Stimmen, die die Stichhaltigkeit der dargestellten Studie in Zweifel ziehen und die Ansicht vertreten, dass infolge der Befragung eine abstrakte Gefahr zu einer regelrechten Bedrohung dramatisiert werde. Wenn knapp 25 Prozent der Gutachter im Verlauf ihrer Gutachtentätigkeit einmal erlebt habe, dass der Richter eine Tendenz vorgegeben hat, so bedeute das schließlich auch, dass 75 Prozent der Gutachter solch eine Praxis noch nie erlebt hätten. Im Übrigen lasse sich wohl nur schwer feststellen, inwiefern die Gutachter im Falle einer signalisierten Tendenz ebendieser gefolgt sind und sich haben beeinflussen lassen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Rolle von Sachverständigen nach wie vor sehr wichtig und unerlässlich ist. Es stellt sich lediglich die Frage, wie der möglichen Gefahr der Einflussnahme durch die Gerichte und der infrage stehenden Neutralität der Gutachter (ggf. vorbeugend) zu begegnen ist. Hilfreich könnte zum Beispiel ein Katalog mit Mindestkriterien in fachlicher und persönlicher Hinsicht sein. Für die Festlegung einer Mindestqualifikation sprechen sich auch viele Gutachter selbst aus. Insgesamt würde es dem Begutachtungswesen nicht schaden, mehr Transparenz und Überprüfbarkeit zu gewährleisten.