Psychotherapie: Nebenwirkungen gehören dazu

Eine Psychotherapie ohne Nebenwirkungen? Nahezu eine Illusion. Bei Medikamenten sind etwaige Nebenwirkungen in der Regel hinlänglich bekannt, doch bei der Psychotherapie werden sie oft verschwiegen.

Ganz ähnlich wie bei Medikamenten kann aber auch eine durchgeführte Psychotherapie den erhofften Erfolg vermissen lassen oder zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Einen Beipackzettel, wie man ihn von Medikamenten kennt und der vor Risiken warnt, gibt es für die Psychotherapie in Deutschland bislang nicht. Anders in Österreich, wo Forscher der Donau-Universität Krems eine Patienteninformation ähnlich einem Beipackzettel entwickelt haben.

Das könnte sich in Zukunft möglicherweise ändern, allerdings lässt sich durchaus darüber streiten, ob ein solcher Beipackzettel überhaupt sinnvoll wäre. Schließlich könnten einige potentielle Patienten den Beipackzettel als eine Art Warnung missverstehen und sich trotz medizinischer Notwendigkeit einer Psychotherapie von ebendieser abschrecken lassen.

Die Thematisierung möglicher Nebenwirkungen sollte aber auf jeden Fall erfolgen, etwa im Rahmen eines ersten Gesprächs mit dem Patienten. Nicht nur, dass eine solche Aufklärung durch das am 26.02.2013 in Kraft getretene Patientenrechtegesetz (§§ 630a ff. BGB) ohnehin vorgeschrieben ist – es ist auch Fakt, dass gut aufgeklärte Patienten deutlich besser Therapieerfolge erzielen können und auch seltener die Therapie abbrechen.

Der eine oder andere mag sich nun fragen: Von welchen Nebenwirkungen ist hier eigentlich die ganze Zeit die Rede?

Über Nebenwirkungen einer Psychotherapie ist bislang zugegebenermaßen verhältnismäßig wenig bekannt. Studien zu diesem Thema gibt es nur wenige – wirklich aussagekräftige noch weniger. Das hängt u.a. damit zusammen, dass die Psychotherapie viele Jahrzehnte lang einen schweren Stand in Deutschland hatte. Da ist es verständlich, wenn sich das Fach mit positiven Effekten und Wirksamkeitsnachweisen begnügt und die negativen Aspekte wie Nebenwirkungen zunächst links liegen lässt. Und außerdem: Wer bestimmt eigentlich, was positiv oder negativ ist, oder ob eine zwischenzeitliche Verschlechterung des Patientenzustands unvermeidlicher Teil der Psychotherapie ist und notwendigerweise dazugehört oder ob es sich um eine unerwünschte Nebenwirkung handelt?

Im Einzelfall lassen sich diese Fragen nicht so leicht beantworten. Gerade kurzzeitige Verschlechterungen der Befindlichkeit während der Therapiedauer sind häufig als „normal“ anzusehen; schließlich setzt der Patient sich gezielt mit seinen Problemen auseinander und muss Strategien zur Bewältigung entwickeln. Damit sind naturgemäß hohe Anforderungen an den teilweise labilen Patienten gestellt, der u.a. mit Trauer oder Zorn reagieren kann. Vor allem darf man nicht übersehen, dass Veränderungen durch eine Psychotherapie ja gerade erwünscht sind – nur ob eine bestimmte Veränderung im Einzelfall nun als positiv oder negativ zu bewerten ist, ist manchmal doch schwieriger und komplizierter, als es zunächst klingen mag. Wie verhält es sich etwa mit einer Patientin, die sich im Laufe der Therapie von ihrem langjährigen Lebenspartner trennt? Was zunächst negativ klingt, hat möglicherweise auch seine gute Seite: Vielleicht hat die Frau es nach jahrelanger Unterdrückung durch ihren Partner endlich geschafft, ihren Mund aufzumachen, ihre Meinung zu äußern und selbstbestimmt zu handeln. Nicht selten stehen während oder nach einer Psychotherapie auch berufliche Veränderungen bei dem Patienten an. Auch hier lässt sich keine pauschale Einteilung in „positiv“ und „negativ“ vornehmen.

Diese Beispiele sind nur wenige unter vielen und zeigen auf, dass eine Veränderung als solche in vielen Fällen im Grunde erst dann abschließend beurteilt werden kann, wenn man das Langzeit-Ergebnis betrachtet und sich anschaut, was diese Veränderung auf Dauer bei dem betroffenen Patienten für eine Wirkung hat.

 

Quellen:
- „Fragen Sie bloß Ihren Psychiater“, FAZ vom 31.03.13, Nr. 13, S. 61
- http://www.zeit.de/2012/48/Psychotherapie-Nebenwirkung-Beipackzettel/komplettansicht
- http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/article/851011/dgppn-kongress-psychotherapie-ihre-nebenwirkungen.html
- http://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/psychotherapie-hat-kaum-bekannte-risiken-und-nebenwirkungen-a-869344.html
- http://www2.psychotherapeutenkammer-berlin.de/uploads/prof_strauss.pdf
- http://www.tagesspiegel.de/wissen/risiken-der-psychotherapie-depression-als-nebenwirkung/7471884.html

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