Kniegelenke: Wie häufig wird denn in Ihrer Region operiert?

In Deutschland ist die Anzahl an Kniegelenksoperationen mittlerweile auf mehr als 150.000 pro Jahr angestiegen. Auf 100.000 Einwohner kommen damit 130 neue Kniegelenke (Endoprothesen). Damit belegt Deutschland im internationalen Vergleich einen der Spitzenplätze.

Aber hätten Sie gedacht, dass Ärzte in einigen Regionen deutlich häufiger zum Skalpell greifen um eine Prothese einzusetzen als in anderen?

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie zeigt auf, dass es bei der Versorgung mit künstlichen Kniegelenken erhebliche regionale Unterschiede gibt. Sie wohnen beispielsweise in Bayern in einer eher ländlichen Gegend mit einem hohen sozio-ökonomischen Status, also in einer Gegend mit höherem Bildungsstand und Einkommen? Dann ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass Sie dort auch ein neues Kniegelenk erhalten.

Festgestellt wurde in der Studie „Faktencheck Gesundheit Knieoperationen“, dass in „besseren“ Gegenden drei Mal so häufig ein neues Kniegelenk eingesetzt wird als in sozial schwächeren Gegenden. Dabei beziehen sich die der Studie zugrundegelegten Zahlen jeweils auf den Wohnort der Patienten und nicht auf den Ort der durchgeführten Operation. Ebenso schwankt die Häufigkeit von Folgeoperationen von Region zu Region; in einigen Regionen gibt es fünf Mal so viele OPs als anderswo: mancherorts werden nur 7 von 100.000 Patienten erneut operiert, in anderen Regionen knapp 40. Insgesamt hat die Anzahl an Folgeoperationen zwischen 2005 und 2011 um 43% zugenommen.

Schaut man sich die Zahlen zu den durchgeführten Gelenksspiegelungen (sog. Arthroskopien) an, so zeigt sich ein noch dramatischeres Bild, denn teilweise werden diese in bestimmten Gegenden bis zu 65 Mal häufiger vorgenommen als anderswo. Die Zahl schwankt hier zwischen 14 und 894 pro 100.000 Einwohner.

Aber wie kann es zu solchen extremen regionalen Unterschieden kommen und was steckt hinter den vielen Zahlen?

Rein medizinische Ursachen kommen als Begründung jedenfalls nicht in Betracht – dazu sind die Unterschiede zu gravierend. Wird nicht bemittelten Patienten womöglich eine eigentlich notwendige Knieoperation versagt, während reicheren Patienten eine OP von den Ärzten regelrecht aufgeschwatzt wird? Sollte sich diese These tatsächlich bewahrheiten, ist das ein Skandal, denn im Grunde hat sich herausgestellt, dass der OP-Bedarf bei sozial schlechter gestellten und formal weniger gebildeten Bürgern tendenziell höher ist als bei solchen mit höherem Bildungsstand und Einkommen. Bei einem solchen Zustand – also wenn trotz höheren Bedarfs dennoch weniger Leistungen stattfinden – spricht man auch vom sog. „inverse care law“.

Vermutet wird allerdings auch, dass in sozio-ökonomisch schwächeren Regionen die Nachfrage seitens der Patienten schlichtweg geringer ist und andersherum eine Überversorgung in den besser gestellten Regionen deshalb vorliegt, weil hier die Patienten viel früher nach einem neuen Gelenk verlangen. Inwiefern die Schuld für die enormen Unterschiede also den Ärzten zuzuschreiben ist und ob nicht auch das Verhalten der Patienten selbst zu den Schwankungen in der Versorgung beiträgt, ist nicht abschließend geklärt.

Gerade aber bezüglich des hohen Anteils an Folgeoperationen scheint ein finanzieller Anreiz der Ärzte zu bestehen, denn diese Eingriffe werden gut bezahlt. Ein Trend geht außerdem in die Richtung, bereits jüngere Patienten mit einem neuen Kniegelenk zu versorgen. Damit steigt dann wiederum die Wahrscheinlichkeit, später aufgrund von Verschleiß nochmals eine Operation durchführen zu müssen.

Weiterhin wurde im Rahmen der oben genannten Studie folgendes festgestellt:

-        Auf dem Land wird häufiger operiert als in der Stadt.

-        In Mecklenburg-Vorpommern finden die wenigstens Eingriffe statt; die meisten neuen Kniegelenke werden in Bayern eingesetzt

-        Außerdem ist ein West-Ost-Gefälle erkennbar

-        Die Vermutung, wo viele Orthopäden niedergelassen sind, würde auch mehr operiert, trifft dagegen nicht zu: genau das Gegenteil ist der Fall.

Wie sich die Anzahl an Operationen genau verteilt und wie häufig in Ihrer Region das Skalpell zum Einsatz kommt, können Sie auf dieser interaktiven Karte einsehen:

http://www.stern.de/gesundheit/interaktive-karte-so-haeufig-wird-in-deutschland-am-knie-operiert-2063830.html

Mit ein Grund für die erheblichen regionalen Unterschiede in Deutschland dürfte  der Umstand sein, dass Ärzte bisher keine konkreten und allgemein anerkannten Kriterien dafür definiert haben, wer ein neues Kniegelenk braucht und wer nicht. Und solange dies nicht geschehen ist, wird sich an dem Missstand einer endoprothetischen Überversorgung wenig ändern.

Weitere Informationen zu dem Thema Kniegelenke, unter anderem zu der Frage, was Sie bei Gelenkbeschwerden tun sollten und wie Sie den richtigen Zeitpunkt für eine Knie-OP ermitteln können, finden Sie unter: www.faktencheck-knieoperation.de

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