Depressionen: Mehr Falschbehandlung geht kaum

Unabhängig davon, ob man die Depression als neue Volkskrankheit ansieht oder sich anderen Stimmen anschließt, die für die Existenz der Depression evolutionäre Gründe anführen: Fest steht nun jedenfalls, dass kaum ein anderes Krankheitsbild so häufig falsch behandelt wird wie die Depression. In dem Zusammenhang hört man teilweise von zu häufigen Behandlungen, manchmal liest man konträr dazu aber auch von zu wenigen Behandlungen. So widersprüchlich diese Aussagen auch klingen mögen: es ist etwas Wahres dran. Während Patienten mit leichten Depressionen häufig mit zu vielen Psychopharmaka behandelt werden, wird die sachgerechte Behandlung schwerer Depressionen erschreckend oft vernachlässigt. Drei Viertel der Patienten mit schweren Depressionen werden unzureichend behandelt und viele schwer Depressive erhalten nur eine Monotherapie, also entweder Psychopharmaka oder Psychotherapie. Eine angemessene Kombinationsbehandlung aus Antidepressiva- und Psychotherapie mit entsprechender Mindestdauer bekommen nur 12%, und eine angemessene stationäre Behandlung nur 14%. Diese Missstände deckte eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung auf.

Daneben wurden noch weitere gravierende Ungereimtheiten festgestellt:

So wird jungen Menschen zwar schnell geholfen – sie bekommen zügig einen Therapieplatz -, doch zählen sie auch zu der Patientengruppe, die meist mehr Medikamente erhalten als ihnen guttut. Ältere Menschen hingegen haben große Probleme, an einen Therapieplatz zu kommen. Im Vergleich zu Jüngeren hat von den älteren Patienten nur ein geringer Bruchteil einen Psychotherapeuten gefunden. Mit zunehmendem Alter steigt vor allem das Risiko, dass die Depression gänzlich unbehandelt bleibt: 25% der über 60-jährigen Patienten mit schweren Depressionen erhalten gar keine Behandlung.

Ein weiteres Problemfeld ist die Diagnosequalität. Diese lässt in der Mehrzahl aller Fälle zu wünschen übrig. Offenbar wird in vielen Fällen die Diagnose leichtfertig und undifferenziert gestellt. So wird etwa beispielsweise eine Depression diagnostiziert, aber deren Schweregrad nicht angegeben. Dies ist im Hinblick auf eine angemessene Behandlung fatal, denn ohne eine spezifische Diagnose kann man wohl kaum eine angemessene Behandlung bestimmen.

Schlussendlich spielt auch der Wohnort eine entscheidende Rolle bei der Frage, ob ein Mensch als depressiv eingestuft wird. Ausgerechnet diejenigen Bundesländer, denen eine hohe Lebensqualität zugesprochen wird – nämlich Bayern und Baden-Württemberg -, weisen die höchsten Zahlen an Depressionsdiagnosen auf. Ob dies daran liegt, dass es dort tatsächlich mehr Depressive gibt? Das wird man wohl kaum annehmen können. Plausibler scheint die Erklärung, dass es dort eine höhere Anzahl an praktizierenden Ärzten und Psychologen gibt. Allerdings scheint dieser Erklärungsversuch im Widerspruch zu der Feststellung der Bertelsmann-Studie zu stehen, dass Kreise im Norden und in der Mitte Deutschlands höhere Raten an angemessen behandelten Patienten vorweisen können als der Osten und der Süden. Was der Grund für die deutlichen regionalen Unterschiede bezüglich der Diagnosestellung und der Behandlung ist, lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend klären.

Die Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt auf, dass es rund um Depressionen vielfältige Probleme gibt. Dass aber gerade bei der Behandlung von Depressionen so vieles im Argen liegt, ist ein kaum erträglicher Zustand – handelt es sich bei Depressionen doch um eine der häufigsten und folgenreichsten Krankheiten. Fast jeder fünfte Mensch leidet im Laufe seines Lebens an einer Depression. Wird sie nicht ausreichend behandelt, kann sie einen chronischen Verlauf annehmen.

Dramatisch sind außerdem die hohen Anzahlen an Suiziden infolge von Depressionen: etwa einer von sieben Menschen mit einer schweren depressiven Störung stirbt durch Suizid. Erfreulicherweise ging die Anzahl an Suiziden in den letzten Jahren zwar deutlich zurück, aber dennoch reden wir immer noch von ca. 10.000 Suiziden pro Jahr. Und jeder einzelne Fall ist einer zu viel.

Jüngstes tragisches Beispiel ist der Hollywood-Star Robin Williams. Er nahm sich offenbar am 11.08.2014 nach jahrelangem Kampf gegen Alkoholprobleme und Depressionen das Leben.

Quellen:
- „Zu viel, zu wenig“, Der Spiegel 12/2014
- https://depression.faktencheck-gesundheit.de/fachinformation/zahlen-daten-fakten/
- http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/bst/hs.xsl/nachrichten_120516.htm
- http://www.focus.de/gesundheit/studie-in-deutschland-die-haelfte-der-depressiven-wird-nicht-richtig-behandelt_id_3699361.html
- http://www.sueddeutsche.de/wissen/kampf-gegen-die-depression-eine-graue-bilanz-1.126009

Hinterlasse eine Antwort