Chirurgen ohne Übung

Kaum ein Patient würde sich unbeschwert in die Hände eines Chirurgen begeben, von dem er weiß, dass dieser die durchzuführende Maßnahme bisher nur wenige Male durchgeführt hat, dem es somit an einschlägiger Erfahrung mangelt. Doch neuen Erkenntnissen zufolge kommt es öfter vor, als man es zu denken wagt, dass ungeübte Chirurgen eine Operation vornehmen. Für den Patienten kann das natürlich fatale Folgen haben: Es bedarf wohl keines weiteren Nachweises, dass umso häufiger Komplikationen auftreten, je weniger ein Chirurg mit einer bestimmten Operation oder Behandlung vertraut ist.

Ein Appell an die Ärzte, nur solche Operationen durchzuführen, denen sie gewachsen sind, wird wohl kaum zur Lösung des Problems beitragen. Das dachte sich vermutlich auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der die sog. Mindestmengenregelungen gemäß § 137 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB V geschaffen hat. Die Mindestmengenregelung ist seit dem Jahr 2004 in Kraft und hat zum Inhalt, dass bestimmte Eingriffe nur in solchen Kliniken durchgeführt werden dürfen, die bei diesen Eingriffen eine Mindestanzahl pro Jahr vorweisen können. Unterlagen im Jahr 2004 zunächst nur 4 Eingriffe dieser Mindestmengenregelung, sind derzeit 8 umfasst:

1. Lebertransplantationen
2. Nierentransplantationen
3. komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus (Speiseröhre)
4. komplexe Eingriffe am Organsystem Pankreas (Bauchspeicheldrüse)
5. Stammzellentransplantation
6. Kniegelenk-Totalendoprothesen
7. koronar-chirurgische Eingriffe
8. Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit Geburtsgewicht von weniger als 1.250 Gramm,

wobei allerdings durch Beschlüsse vom 15.09.2011 bzw. 19.01.2012 hinsichtlich der Nummern 6 und 8 befristete Außervollzugsetzungen erfolgt sind.

Angesichts des 10-jährigen Bestehens der Mindestmengenregelungen ist es an der Zeit, ihre Wirksamkeit zu überprüfen. So sinnvoll die Idee einer Mindestmengenregelung auch sein mag, so ernüchternd muss leider das Urteil hierzu ausfallen: In der Praxis hat sich die Regelung bislang leider nicht bewähren können. Es hat sich gezeigt, dass die Regelung häufig unterlaufen wird und bestimmte Eingriffe selbst in solchen Kliniken durchgeführt werden, die die Mindestzahlen nicht erreichen. Die Annahme, dass in diesen Fällen jeweils ein beachtlicher Ausnahmegrund vorgelegen hat (das wäre z.B. dann der Fall, wenn es sich um einen Notfalleingriff handelt, der nicht aufgeschoben werden kann), ist sicherlich naiv. So viele Ausnahmefälle oder Notfälle kann es gar nicht geben. Die Analyse zur Umsetzung der Mindestmengenvorgaben spricht nämlich davon, dass je nach Eingriff 16 bis 68 Prozent der Eingriffe in Abteilungen stattfinden, welche die Mindestmengenvorgaben nicht erfüllen.

Es ist zwar einzuräumen, dass in Deutschland pro Jahr von den insgesamt ca. 17 Millionen Behandlungsfällen nur ein Prozent unter die Mindestmengenregelung fällt, sodass letztlich die Gefahr, in einer Klinik mit zu geringen Fallzahlen (und durch ungeübte Chirurgen) behandelt zu werden, relativ gering erscheint. Aber bedenken ist, dass die Mindestmengenregelung bisher nur für die oben genannten 8 spezifischen Maßnahmen gilt. Das Problem, dass zu häufig Operationen von nicht hinreichend versierten Chirurgen durchgeführt werden, besteht weitgehend unabhängig von der Mindestmengenregelung. Auch zahlreiche andere Eingriffe dürften so komplex und schwierig sein, dass nur erfahrene Chirurgen hier zum Operationsbesteck greifen sollten. Und wer muss letztlich unter diesen Umständen leiden? Richtig: Die Patienten.

Quellen:

- Artikel “Ungeübte Chirurgen in deutschen Kliniken” FAZ vom 20.08.2014
- Jauch, Mindestmengenregelung gescheitert?, in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, S. 547
- Peschke et al., Umsetzung der Mindestmengenvorgaben: Analyse der DRG-Daten, in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 111, S. 556

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